Willst du gesund werden?

Selbstheilung ist der erste Schritt zum Weltfrieden. Unsere Heilung geschieht durch innere Stille, therapeutische Hilfe und Dienst am Nächsten. Im Thomas-Evangelium ist zu lesen:

„Du siehst wohl den Splitter im Auge deines Bruders, aber den Balken im eigenen Auge siehst du nicht. Wenn du den Balken aus deinem Auge entfernst, dann wirst du deutlich genug sehen, um den Splitter aus dem Auge deines Bruders zu entfernen.” 1

Den Balken aus dem eigenen Auge zu entfernen, bedeutet für die meisten Menschen, sich frühkindlicher Traumata bewusst zu werden. Dazu ist es notwendig, sich nach innen zu wenden. Nur dort können die unangenehmen Gefühle und Blockaden unserer Schattenseite aufgelöst werden.

„Was ihr erwartet, ist schon gekommen, aber ihr erkennt es nicht!”

Unser innerster Kern, das reine Gewahrsein oder auch Zeugenbewusstsein, ist bereits heil und im Frieden. Aber solange wir die notwendige Heilungsarbeit versäumen, erkennen wir dies nicht. Durch bewusstes Atmen, eine gute Gemeinschaft und tägliche Übung beruhigt sich der denkende Geist, und die Stille wird wahrnehmbar.

Die tägliche Übung besteht darin, sich mehr und mehr des inneren, urteilsfreien Beobachters (des Zeugenbewusstseins) gewahr zu werden. Im Laufe der Zeit spüren wir dann immer deutlicher unser grundlegendes Gutsein, so dass wir es schliesslich auch in jedem Menschen erkennen können.2

„Das, was ihr habt, wird euch retten, wenn ihr es in euch selbst hervorgebracht habt; falls ihr jenes, was in euch ist, nicht hervorgebracht habt, wird es euch töten.”

Die unerforschte Schattenseite unseres Geistes verhindert es, die Welt und andere Menschen klar zu sehen. Die unbewusste Projektion des Schattens auf andere Menschen verursacht Missverständnisse, Streit und sogar Krieg.

Aus der Erforschung des Schattens erwächst jene Barmherzigkeit, durch die es unmöglich wird, weiterhin jemanden zu verurteilen – weder uns selbst noch die anderen. Und genau das ist der Anfang des Weltfriedens.

„Der an Erfahrung reiche Mensch wird nicht zögern, ein sieben Tage altes Kind nach dem Ort des Lebens zu fragen, und er wird leben.”

Unsere innere Sonne scheint ständig, genau wie in einem sieben Tage alten Kind. Und sie strahlt am hellsten und vollständigsten, wenn wir ein Leben in Demut führen.

„So sollt auch ihr euch gegenseitig die Füße waschen…”

Die Heilung der Seele ist ein einfacher, stufenloser Prozess, der in einer sich immer weiter vertiefenden, regelmäßigen Entspannungspraxis besteht. Gelangt dieser Prozess zur Reife, dann geht er sogar über die tiefe Entspannung hinaus, die wir gemeinhin als „Tod” bezeichnen.

Bevor die Leichenstarre einsetzt, ist die augenfälligste Eigenschaft eines toten Körpers seine vollkommene Entspanntheit. Unsere kulturelle Trance, die den Tod beständig in morbiden und negativen Farben beschreibt, hält uns davon ab, diese auffällige Verbindung zwischen Tod und Entspannung wahrzunehmen. Bereits das Schreiben über den Tod zerreißt ein Tabu.

Eine Möglichkeit, dieses Tabu zu brechen ist, mit verschiedenen Menschen über das Sterben zu sprechen. Teilen Sie Ihre eigenen Gedanken, Ängste und Erwartungen mit und fragen Sie nach denen Ihrer Freunde und Freundinnen. Sprechen Sie mit ihnen über die Gedanken und Gefühle, die die Beschäftigung mit dem Thema Sterben in Ihnen hervorrufen. Hören Sie zu, was Ihre Gesprächspartner selbst zu diesem Thema zu sagen haben. Helfen Sie mit, das Sterben aus der Tabuzone unseres Denkens zu befreien.

(Ehe-)Partner, die ihr Vertrauen zueinander vertiefen wollen, können sich gegenseitig versprechen, sich später während des Sterbens gegenseitig zu begleiten, selbst wenn sie voraussichtlich noch lange leben werden. Dieses Versprechen kann einen Prozess tiefer innerer Reifung in Gang setzen und die gegenseitige Verbundenheit verstärken.

Bei erfahrenen und gereiften Heilern können wir wahrnehmen, dass sie durch lange Übung eine tiefe Vertrautheit mit dem Tod und dem Prozess des Sterbens entwickelt haben. Wenn Sie allerdings den Eindruck haben, jemanden mit diesen Gedanken zu überfordern oder zu erschrecken, dann lassen Sie es. Die Beschäftigung mit dem Tod sollte Entspannung fördern und nicht Anspannung verursachen.

Es ist wichtig, sich die zwei Phasen des Sterbeprozesses zu vergegenwärtigen. Die akute, beschleunigte Phase, die wir im Ablauf einer tödlichen Krankheit beobachten können, ist nur das auffälligere Gesicht des Todes. Das andere Gesicht - die weitaus wichtigere Phase – ist nichts anderes als das Leben selbst. Mit anderen Worten: Ein menschliches Leben ist in seiner Gesamtheit nur leidlich genußreich. Man kann es eher als oftmals stürmische Übung betrachten, die der Vorbereitung auf den Tod dient. Und das ist so, auch wenn viele Menschen so tun, als ob diese Wahrheit nicht gelte.

Halten wir einen Augenblick inne: Genau jetzt, in diesem Moment des „Lebens”, durchlaufen wir einen Schritt unseres Sterbeprozesses. Die Stammesweisheit der Naturvölker dieser Erde weist den Tod nicht zurück und ist damit ein Vorbild für eine ausbalancierte Lebensweise. Sie lehrt uns, dass jeder Augenblick vollkommen, leidenschaftlich und mitfühlend gelebt werden soll, denn er könnte der letzte sein.

Fast alle von uns, die wir in der „Zivilisation” aufgewachsen sind, haben diese Balance nie kennengelernt und damit den Kontakt zu unserer eigenen Seele verloren. Wenn dies geschieht, entsteht ein großer Schmerz des Verlustes. Und auch wenn dieser untergründige Verlustschmerz zunächst nicht bewusst ist, treibt er uns in einen selbstmörderischen Lebensstil hinein.

Im unbewussten Streben nach Ausgleich, in dem aussichtslosen Versuch, über den Konsum des Materiellen einen Zugang zum Immateriellen zu erlangen, ist Umwelt- und Weltzerstörung die Folge. Der Schmerz über die verlorene Seele soll durch exzessiven Konsum und „berechtigte” Ansprüche betäubt werden. Doch es müssen zuerst alle Ansprüche preisgegeben werden, damit man sich nackt, ohne die übliche Rüstung des aus Besitz gestalteten „Ichs”, dem Allerweiblichsten – der Seele – nähern kann. Erst dann kann man in die ekstatischen Gefilde vordringen, in denen William Blake offensichtlich sein Leben lang zuhause war.

Wir begrenzen „die Welt” gewöhnlich im Sinne unserer individuellen Identität. Das häufigste Motiv für unsere Lebensaktivitäten ist die Suche nach individueller Erfüllung. Darunter liegt jedoch noch ein tieferes, unbewusstes Motiv: die Suche nach Erlösung von unserem Dasein als Einzelwesen.

So ist das Verlangen, Erfüllung zu finden, unser Lebenstrieb; das Verlangen nach Erlösung ist der Todestrieb. Lebenstrieb und Todestrieb bilden ein Ganzes, denn insgeheim sehnt sich jeder danach, von der Liebe überwältigt zu werden; und genau das geschieht, indem wir bewusst in sie hineinsterben – dargestellt in der mittelalterlichen Geschichte von Tristan und Isolde und ihrem „Liebestod”. Der Mythenforscher Joseph Campbell schreibt dazu:

„Wie ein Blitzschlag trifft einen die Liebe, sie ist eine göttliche Heimsuchung, die das Leben verwandelt, jeden störenden Gedanken auslöscht. Ein bengalischer Text preist diese Erfahrung mit den Worten: ‚Das Selbst ist leer, die Welt ist leer, Himmel, Erde und Luftraum sind leer: in dieser Verzückung gibt es weder Tugend noch Sünde.’” 3

So vermählen sich Lebenstrieb und Todestrieb:

„Entspanne dich vollkommen, atme tief
und sterbe bewusst…”

Nur indem wir täglich dieser einfachen Weisung folgen, können wir zu Heilenden werden, die reif genug sind, den Wahnsinn einer schlafenden Menschheit zu beenden.

„Die Menschen schlafen,
und wenn sie sterben,
erwachen sie.”

Mohammed

  1. Die hier folgenden Zitate entstammen dem apokryphen Evangelium des Thomas. Das Thomas-Evangelium ist erstaunlicherweise nicht Teil der Bibel oder der offiziellen Kirchenlehre. Es wurde 1945 als unversehrte Schriftrolle in einer Höhle bei Nag Hammadi (60 km nordwestlich von Luxor) in Ägypten gefunden. Es war 2000 Jahre im Wüstensand versteckt und stellt eine unmittelbare Überlieferung der Worte Jesu dar. ↩︎

  2. Die Qualität des grundlegenden Gutseins wird im Kapitel „Der Spiegel, der nicht schmeichelt”, ausführlich erklärt. ↩︎

  3. Zitiert nach Joseph Campbell: Schöpferische Mythologie; München 1992, S. 84 ↩︎