6. Ekstase

Stefan von Jankovich, ein in der Schweiz lebender ungarischer Architekt, sammelte bei mehreren Nahtod-Erlebnissen tiefe Erkenntnisse über das Sterben, die er in vielen Büchern veröffentlichte. Er fügte den von Elisabeth Kübler-Ross beschriebenen ersten fünf Schritten des Sterbeprozesses einen weiteren hinzu, den er Euphorie nannte. Ekstase beschreibt diesen Zustand allerdings treffender.

Ein euphorischer Zustand ist körpergebunden und wird körperlich erlebt. Im Gegensatz zur Euphorie ist Ekstase ein unkörperlicher, geistiger Zustand und wird von Menschen, die Nahtoderfahrungen gehabt haben, als eine vom Körper vollkommen unbelastete Erfahrung beschrieben. Auch Jankovich beschreibt diesen Zustand:

„Gefühl der Befreiung, Feststellung der Schmerzlosigkeit – Erleichterung, Wohlbefinden - Glücksgefühl. Alles ist Schwingung. Wahrnehmung von harmonischen Farben, Formen, Tönen. Evtl. Begegnung mit Verstorbenen, Gefühl der Geborgenheit in der Liebe Gottes.” 1

Kehrt das Körperbewusstsein zurück, beispielsweise nach einer Reanimation, so ist dies in doppelter Hinsicht schmerzhaft: Zum einen wird der physische Schmerz des verletzten Körpers wieder spürbar, zum anderen wird die Rückkehr aus dem ekstatischen Zustand als Verlust erlebt.

Ekstase wurde und wird in unserer Kultur verfolgt. Die Hexenverbrennungen des Mittelalters sind Zeugnis und Höhepunkt einer jahrhundertelangen Vernichtung ekstatischer Erlebniswelten.

Die sogenannten Hexensalben, die bewusstseinsverändernde Drogen enthielten (Bilsenkraut, Mohn, Tollkirsche), hatten ähnliche Wirkung wie Fliegenpilze, Psilocybin-Pilze und andere Drogen, die von den Schamanen in Sibirien, Südamerika, Afrika und Australien – neben ihren Trommeln – für ekstatische Reisen verwendet werden. Der germanische Gott Odin hängte sich an einem Baum auf und verletzte sich mit seinem eigenen Speer. Er geriet in Ekstase und bekam die Weisheit der Runen geschenkt.

In den 60er Jahren machte die Ekstase-Droge LSD Karriere. Ihr Gebrauch hatte bisweilen unerfreuliche Nebenwirkungen, da der Gebrauch der bewusstseinsverändernden Substanzen in einem Rahmen vollzogen werden muss, der die erheblichen Turbulenzen der Psyche verantwortlich auffängt.2 Bemerkenswert ist, dass der tibetische Buddhismus sich vollkommen ohne Drogen ekstatisch entwickelt hat, genauso wie die christlichen Mystiker des Mittelalters offensichtlich ohne chemische Substanzen in Verzückung gerieten.

Die mitteleuropäische Kultur hat sich umfassend darum bemüht, sämtliche Äußerungen einer ekstatischen Lebensweise zu vernichten – verständlicherweise, denn Menschen, die in diese Dimensionen vorgestoßen sind, können nicht mehr so leicht kontrolliert und manipuliert werden. Sie steigen aus der Konditionierung als Verbraucher, Kunden und Konsumenten aus und leben aus eigener Inspiration heraus.

Ironischerweise gibt es gerade bei uns heute eine Fülle an Literatur über ekstatische Nahtoderlebnisse. Auch die buddhistischen Lehren, die sich immer größerer Beliebtheit im Westen erfreuen, legen großen Wert auf die Erforschung des Zusammenhangs zwischen Tod und Ekstase. Der Wunsch des Menschen bleibt: Erkenntnis.

Ekstase ist Verbindung mit übermenschlichen Kräften und Öffnung zum Bewusstsein des Nicht-Getrennt-Seins. In dieser Verbindung fällt die Begrenztheit durch Körper und Persönlichkeit ab und das Selbst tritt in Verbindung mit der Urkraft. Einen Sterbenden in diesem Zustand zu erleben ist ein Segen. Man kann dem nichts hinzufügen ausser dem eigenen Bemühen, sich so weit wie möglich durch mitfühlendes Handeln und Innenschau auf diese Öffnung vorzubereiten.


  1. Stefan von Jankovich: Ich war klinisch tot: Der Tod, mein schönstes Erlebnis; München 1984, S. 161 ↩︎

  2. Christian Rätsch hat die Arbeitsweise der Schamanen und die Wirkungen psychoaktiver Pflanzen gründlich untersucht und in vielen Büchern veröffentlicht. Exemplarisch sei hier angeführt: Das Tor zu inneren Räumen; Südergellersen 1992, und: Maria Sabina - Botin der heiligen Pilze, Aarau 1998 ↩︎