In diesem Glossar sind einige der wichtigsten Begriffe, die wir behandelt haben, noch einmal zusammengefaßt dargestellt. Wir haben ein Buch über Kunst geschrieben – die Kunst des Lebens und des Sterbens – kein wissenschaftliches Buch. Die Existenz eines Glossars könnte zu der irrigen Annahme führen, die folgenden „Definitionen” seien wissenschaftlich abgesichert und vollständig. Es sind jedoch eher Annäherungen, vornehmlich an Begriffe aus der buddhistischen und christlichen Tradition, die helfen sollen, den gemeinsamen Kern aller Religionen zu erforschen.

Wir sind uns klar darüber, dass einige Aussagen in diesem Buch nicht mit dem christlichen Denken, andere nicht mit den buddhistischen Lehren im Einklang sind. Wir machen sie aus unserem eigenen intuitiven Verständnis, soweit wir es bis jetzt entwickelt haben.

Bewusstsein/Bewusstheit

Das Phänomen des Bewusstseins ist eine der größten ungelösten Fragen von Naturwissenschaft und Philosophie. Aus naturwissenschaftlicher Sicht lautet sie, wie es möglich ist, dass aus einer bestimmten Anordnung und Dynamik von Materie ein Bewusstsein entsteht, wie es der Mensch an sich erlebt.

Philosophisch betrachtet erscheint es zunächst so, dass Bewusstsein immer ein Objekt, einen Gegenstand der Betrachtung oder Wahrnehmung benötigt. Wenn das Zeugenbewusstsein hingegen die erforderliche Reife erlangt hat, wird es Gott so vollkommen wahrnehmen, dass es sich in ihm auflöst. Dieser Zustand ist Bewusstheit ohne Objekt.

Ego

Das Ego ist anfangs nur ein Schutz gewesen, so wie sich im Mittelalter die Städte mit Mauern schützten. Später wurde es zur Festung erweitert, um Eindringlinge abzuwehren. Heute sind wir zu Gefangenen der eigenen Egofestung geworden. Dieser Festungskerker resultiert zum großen Teil aus schmerzhaften Kindheitserlebnissen. Das Fundament des Gefängnisses aber ist die Angst vor dem Tod.

Das Ego hat drei grundlegende Eigenschaften: Identifikation, Unterscheidung und Verlangen. Identifikation ist die Fähigkeit, zu der Erkenntnis zu gelangen: „Ich bin Soundso.” Unterscheidung lässt uns erkennen: "Ich bin nicht Soundso.” Verlangen schliesslich beschreibt die Fähigkeit zu der Erkenntnis „Ich bin hungrig, ich brauche etwas zu essen.” Dies sind die drei grundlegenden Begabungen des Ego. Es ist eine geistige Struktur, die uns befähigt, in dieser Welt zu leben.

Das Problem mit dem Ego ist, dass wir ihm mehr Energie zur Verfügung stellen, als es zur Erfüllung seiner Funktionen benötigt. Jenseits der Befriedigung von Grundbedürfnissen beginnt es nach Wunscherfüllung zu verlangen, aus der Unterscheidung von zwei Personen entwickelt es die Überzeugung von dauerhafter Trennung und aus der Fähigkeit, das eigene Ich zu erkennen, entsteht die Befürchtung, es wieder zu verlieren. Diese grundlegenden Ängste gehen wahrscheinlich darauf zurück, dass Grundbedürfnisse nach Nahrung, Körperkontakt, Geborgenheit und Aufmerksamkeit in früher Kindheit mißachtet wurden. Unter diesen Ängsten leiden nahezu alle Menschen in der heutigen Welt.

Die Lösung des Problems ist das Zeugenbewusstsein; denn im Moment des reinen Gewahrseins enden Identifikation, Unterscheidung und Verlangen. Wann immer das Zeugenbewusstsein jedoch nicht wahrgenommen wird, wird das Ego zum Chef.

Gewahrsein

Gewahrsein beschreibt die Fähigkeit des Bewusstseins, ein Objekt zu identifizieren und zu bezeugen.

Gott

Traditionell wird ein Gott als übernatürliches, mächtiges und zumeist unsterbliches Wesen erlebt. Im Monotheismus ist Gott das höchste Wesen überhaupt, das personifiziert und zugleich als der unendliche Grund allen Seins verstanden wird. Wie in dem einleitenden Brief beschrieben, verstehen wir unter Gott eine unpersönliche, universelle, allgegenwärtige Lebenskraft, die endlos strömend alles durchdringt.

Grundlegendes Gutsein

Das grundlegende Gutsein kann man auch als ursprüngliche Unschuld bezeichnen. Das beste Beispiel dafür ist ein Baby. Das grundlegende Gutsein im Säugling ist wie ein unbeschriebenes Blatt Papier. Je nach den Umständen, unter denen es aufwächst, wird das Blatt mehr oder weniger beschrieben, eingefärbt und verdunkelt.

In der christlichen Tradition gibt es den Begriff der „Erbsünde”, der das grundlegende Gutsein des Menschen leugnet. Der Buddhismus hingegen sieht als größtes Problem des Menschen nicht die Sünde, sondern Unwissenheit. Buddhistische Übung hat zum Ziel, eine innere Reife zu erlangen, welche die Wahrnehmung des grundlegenden Gutseins in jedem Menschen zu jeder Zeit ermöglicht. Dieser Zustand wird gemeinhin auch Erleuchtung genannt.

Liebe

Liebe ist die Bezeichnung für die stärkste Zuneigung, die ein Mensch für einen anderen empfinden kann, ein Gefühl inniger und tiefer Verbundenheit mit dem Nächsten. Im wesentlichen gibt es zwei Formen der Liebe, die oft auch kombiniert auftreten: a) Liebe, die in ihrem Kern selbstlos ist, im Gefühl von Verbundenheit und im Verstehen des anderen wurzelt und nur das Beste für den Nächsten will; und b) die ichbezogene, egozentrische Liebe, die ihre Wurzeln im Haben-Wollen, also besitzergreifenden Tendenzen hat. Das Wort „Liebe” ist leider im Laufe der Zeit erheblich mißbraucht worden. Obwohl wir mit der traditionellen Lehre einverstanden sind, dass Gott Liebe ist, haben wir in diesem Buch den aktiven Teil der Liebe betont, die universelle Vergebung.

Schatten

Es gibt zwei „Naturgesetze”, die den Schatten beschreiben:

  1. Jeder Mensch hat einen Schatten.
  2. Niemand kann über den eigenen Schatten springen.

Der Schatten ist ein Bestandteil unseres unbewussten Geistes. Es ist der Teil von uns, den wir nicht anschauen wollen. Mehr noch, wir wollen nicht einmal zugeben, dass er zu uns gehört. Um ihn mit seinen Inhalten nicht wahrnehmen zu müssen, produzieren wir als Verteidigungsmechanismus einen unaufhörlichen Gedankenstrom. Dies kann extreme Formen annehmen. Wenn sich unser Verhalten im privaten Rahmen deutlich von dem unterscheidet, das wir in der Öffentlichkeit an den Tag legen, dann weist dies auf eine starke Abtrennung vom Schatten hin. Dies kann so weit gehen, dass wir eine wir eine gespaltene Persönlichkeit besitzen.

Im Schatten können sowohl negative als auch positive Eigenschaften verborgen sein – je nachdem, welche Aspekte wir zu unserem bewussten Selbstbild gemacht haben. Die jeweils gegenteilige Eigenschaft ist immer im Schatten zu finden.

Nur wenn wir den Schatten mit geeigneten Methoden erforschen, können wir unsere spirituelle Kraft voll zur Entfaltung bringen. Die wirkungsvollsten Formen der Psychotherapie sind diejenigen, die mit dem Schatten arbeiten. Der unerforschte Schatten ist möglicherweise der Hauptgrund für die hohen Scheidungsraten in der westlichen Welt. Und ganz sicher ist er die Ursache dafür, dass die Weltgeschichte bis heute mit Blut geschrieben wird.

Das Paradox des Schattens wird wohl nirgends besser beschrieben als in den bereits auf Seite 31 genannten Worten Jesu im Thomas-Evangelium:

„Das, was ihr habt, wird euch retten,
wenn ihr es in euch selbst hervorgebracht habt;
falls ihr jenes, was in euch ist, nicht hervorgebracht habt,
wird es euch töten.”

Seele

Das Wort Seele (griech.: psyche, lat.: anima) stammt vom althochdeutschen se(u)la ab, welches vermutlich „die zum See gehörende” bedeutet. Philosophisch wird der „Geist” im Menschen unterschieden von der „Seele”. Die Psychologie sieht die Seele als Teilbereich des Geistes und verwendet den Begriff unter anderem als Synonym für die Gesamtheit aller Gefühle und Gefühlsäußerungen eines Lebewesens. Theologisch wird in den meisten Religionen von der Seele als eine Art „höherem Selbst” gesprochen, dem Teil des Individuums, der den „göttlichen Funken” darstellt. Dieser Aspekt ist es schliesslich, der in einigen Religionen im Zusammenhang mit Begriffen wie Wiedergeburt, Auferstehung, Seelenreise oder dem „Eingehen in die All-Seele” gesehen wird.

Selbst

Es kann zwischen dem absoluten und dem relativen Selbst unterschieden werden. Das relative Selbst ist das, was wir auch Ego nennen. Das Ego ist eine irrtümliche Vorstellung, welche die meisten Menschen zu der Annahme verleitet, es hätte eine dauerhafte, eigenständige Realität. Das absolute Selbst dagegen ist die Grundlage sämtlicher Erscheinungen. Es ist die universelle, ewige, unsichtbare Lebenskraft, die frei von jeglichem Leiden ist. Der Weg aus dem Leiden des relativen Selbst heraus ist ist die Übung der Ichlosigkeit des Zeugenbewusstseins von Augenblick zu Augenblick. Ein anderes Wort für das absolute Selbst ist Gott.

Spiegel

In antiken Kulturen stand der Spiegel als Abbild der Seele einer Person, der – je nach mythologischer Vorstellung – sogar in der Lage war, die Seele einzufangen und festzuhalten. Im alten Ägypten waren die Worte „Spiegel” und „Leben” identisch. Keltinnen wurden aus demselben Grund mit ihrem Spiegel begraben. In der griechischen Mythologie wird Dionysos’ Seele von den Titanen in einem Spiegel eingefangen. Narziß wurde von der Reflexion seines Selbstbildes auf dem Wasser festgehalten. In vielen Kulturen, so auch in der mitteleuropäischen Sagenwelt, gehören Spiegel und übersinnliche Erkenntnis (Weissagen, Wahrsagen) zusammen.

Der Buddhismus vergleicht die Existenz des Menschen mit der Reflexion in einem Spiegel. Auch im Christentum finden wir diese Metapher:

„Wir sehen jetzt durch einen Spiegel ein dunkles Bild;
dann aber von Angesicht zu Angesicht.
Jetzt erkenne ich stückweise;
dann aber werde ich erkennen, wie ich erkannt bin.”

(Korinther 13,12)

Wahrheit/Wahrheiten

Es ist wichtig zu erkennen, dass die Wahrheit in Wirklichkeit aus vielen Wahrheiten besteht. Die Wahrheit, an die wir am meisten gewöhnt sind, ist die konventionelle weltliche Wahrheit. Sie setzt sich aus den Konditionierungen zusammen, die wir durch Familie, Schule, Gesellschaft und Kultur erhalten haben. Für unser gewöhnliches Alltagsleben ist sie in der Regel hilfreich.

Der Prozess der Selbsterforschung bringt schrittweise tiefere Wahrheiten hervor, die sich häufig von den konventionellen, oberflächlichen Wahrheiten unterscheiden. Die letzte Wahrheit, die es zu erkennen gilt, ist die „absolute Wahrheit” der Unsterblichkeit des Bewusstseins.

Zeugenbewusstsein

Es gibt in der hinduistischen und buddhistischen Überlieferung viele Hinweise auf das Zeugenbewusstsein. Das zeigt uns, dass es sich hierbei um eines der größten offenen Geheimnisse dieser beiden Traditionen handelt. Zeugenbewusstsein existiert in jedem von uns, wir müssen es nicht erst erwerben. Es ist die Instanz in uns, die alles aufzeichnet, was in unserem Leben geschieht. Dies verläuft derart automatisch, dass es den meisten Menschen ein Leben lang verborgen bleibt.

Zeugenbewusstsein ist vollkommen frei von Gedanken und Urteilen. Aber auch wenn im Geist Urteile und Gedanken aktiv sind, kann und sollte das Zeugenbewusstsein geübt werden. Da es immer präsent ist, ist dieses Üben in jeder alltäglichen Situation möglich.