Unser Schatten besteht nicht nur aus den gesellschaftlich nicht akzeptierten Gefühlen und Gedanken, die im Unterbewussten abgespeichert werden, sondern auch aus all dem, was wir selbst von uns nicht spüren und wahrhaben wollen.
C. G. Jung beschreibt den Schatten als einen Archetypus, der die im Ich-Aufbau vernachlässigte, abgelehnte Summe gleichgeschlechtlicher Eigenschaften enthält. Der Schatten besteht aus verdrängten oder nicht gelebten Persönlichkeitsanteilen und wächst in dem Maße, in dem das Ich wächst – als dessen dunkles Spiegelbild. Die Verdrängung von Lebensimpulsen erfolgt, wenn sie aus moralischen, sozialen, erzieherischen oder sonstigen Gründen zu einer Isolation in der Familie führen würden.
Der wahrscheinlich gefährlichste Teil unseres Schattens ist der Schmerzkörper. Er ist die Summe allen Schmerzes, den wir in unserem Leben erlebt haben – insbesondere des Schmerzes, der sich unverdient und ungerecht anfühlte. Die meisten Menschen bemühen sich, diesen Schmerz nicht wahrzunehmen – was jedoch dazu führt, dass er nicht geheilt werden kann.
Wenn wir als Kind sehr schmerzhafte Erlebnisse nicht verarbeiten können, dann wird der Schmerzkörper, der dadurch entsteht, im weiteren Verlauf des Lebens viele Schwierigkeiten verursachen. Denn dieser wächst mit der Zeit und beginnt irgendwann ein Eigenleben zu führen. Von der unbewussten Ebene aus signalisiert er regelmäßig, dass er gefüttert werden möchte. Als „Futter” fordert er Negativität: Zwiespälte, Streit, Arroganz und Groll.
Während wir in diesem unbewussten, verletzten Zustand verweilen, identifizieren wir uns mehr und mehr mit dem Schmerzkörper, denn er ist die hauptsächliche Wahrnehmung, durch die wir das Leben erfahren.
In unserer Gesellschaft ist es normal, Menschen zu begegnen, deren Verhalten und Äußerungen beinahe ständig negativ sind. Solche Menschen sind von ihrem Schmerzkörper erobert worden. Sie werden ohne einen tiefen Eingriff in ihr Unterbewusstes wahrscheinlich ihr restliches Leben damit verbringen, ihren Schmerz durch permanentes Selbstmitleid zu ernähren und ihn an andere weiterzugeben.
Wenn Menschen, die einen gewissen Grad psychischer Gesundheit erreicht haben, mit anderen Menschen zusammentreffen, die von ihrem Schmerzkörper erobert worden sind, wird die ganze Situation äußerst schwierig, weil der Schmerz permanent unbewusst kommuniziert wird. Gleich wieviel Aufmerksamkeit ein psychisch gesunderer Mensch demjenigen schenkt, der von seinem Schmerzkörper gefangen ist, es wird immer nur vorübergehend hilfreich sein.
Der Schmerzkörper ist ein Schwarzes Loch, das nach Aufmerksamkeit hungert. Deshalb ist es sehr ermüdend, mit Menschen zusammen zu sein, die aus ihrem Schmerzkörper heraus leben. Ein derart in sich selbst gefangener Mensch hat den Kontakt mit dem Sein verloren, seine Seele wird ausgehungert. Der Schmerzkörper hat immer mit der Vergangenheit zu tun, niemals mit dem Jetzt – das Leben hingegen findet immer jetzt statt.
Wenn es nicht notwendig ist, dass Sie mit einem Menschen, der in seinem Schmerzkörper gefangen ist, Ihre Zeit verbringen, dann lassen Sie es besser. Wenn Sie es aus Mitgefühl oder aus anderen Gründen tun müssen, ziehen Sie klare Grenzen. Vermeiden Sie es, in den Strom seiner Negativität einzutauchen, es sei denn, Sie sind stark genug und in der Lage, bewusst „rein” zu bleiben.
Ob sich jemand von seinem Schmerzkörper vereinnahmen lässt, ist nicht vom Alter abhängig. Auch wenn wir den beschriebenen Zustand bei vielen älteren Menschen beobachten können, ist er doch ebenso bei zahlreichen Jüngeren anzutreffen. Die meisten, wenn nicht gar alle Süchte entstehen auf der Grundlage des Schmerzkörpers. Die Auflösung der Identifikation mit dem Schmerzkörper geschieht durch den reinigenden Prozess der Reue.